Gastbeitrag Norwegen Highlights

Pottwale auf den Vesterålen – Giganten der Meere

Schiff auf Wal Safari in Andenes (Norwegen)

Hier auf den norwegischen Vesterålen ist ein Blick aus dem Fenster immer noch die zuverlässigste Wettervorhersage. Denn auf dem Insel Archipel nördlich der wesentlich bekannteren Lofoten, ändert sich das Wetter im Stundentakt. Wo eben noch die tief stehende Sonne schien, treibt dir kurz darauf ein Schneesturm die Tränen in die Augen. Das wäre alles noch zu ertragen, wenn nicht seit Tagen stürmische Böen ein Auslaufen der Schiffe unmöglich machten und damit sämtliche Wal Safaris abgesagt werden mussten.

Erst nach weiteren drei Tagen gönnt sich der Sturm eine Pause. Endlich gibt der Kapitän, nach dem Studium der Wetterkarten und einem langen Blick aus dem Fenster, grünes Licht zum Auslaufen.

Ein Highlight vor der Wal Safari – die Tour durch das Museum

Vorher kommen wir aber noch in den Genuss einer geführten Museumstour, auf der uns kompetente Guides begleiten und unsere Fragen beantworten. Im örtlichen Wal-Museum wird viel Wissenswertes über das Leben der Pottwale vermittelt. Anschließend, kurz vor 11 Uhr, finden sich dann knapp fünfzig Passagiere aus ganz Europa erwartungsvoll im Hafen von Andenes ein. 

Andenes ist ein kleiner Fischerort am nördlichen Ende der Insel Andøya (Vesterålen). Rund 300 Kilometer nördlich des Porlarkreises leben hier 2600 Menschen vor allem vom Fischfang und mittlerweile auch zunehmend vom Tourismus. Denn inzwischen hat Andenes internationale Bekanntheit erlangt, da hier seit über 30 Jahren ganzjährig Wal Safaris angeboten werden. 

Im Walmuseum Andenes

Die Geschichte der Walfänger

Bereits im 16. und 17. Jahrhundert nutzten holländische Walfänger die perfekten Bedingungen rund um Andenes für ihre Jagd auf Pottwale. Diese Giganten der Meere tummeln sich bis heute in großer Zahl in den umliegenden Küstengewässern. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Nährstoffreiches Wasser und damit verbunden das reiche Nahrungsangebot sowie die Lage am äusseren Ende des europäischen Festlandsockels. Denn bereits nach 15 Kilometern erreicht man mit dem Schiff das Ende des Kontinentalschelfs. Der Meeresgrund fällt hier steil in den Bleik Canyon ab, eine Unterwasserschlucht, die über 1800 Meter in die schwarze, kalte Tiefsee führt.

Hier jagen die Pottwale gerne nach ihrer Lieblingsnahrung, den Tintenfischen. Zwischen 30 und 120 Individuen halten sich das ganze Jahr über in der weiteren Region auf. Ausschliesslich männliche Bullen übrigens. Denn die Weibchen und ihre Jungtiere bevorzugen gemässigtere Regionen weiter südlich. Gegenden, in denen eine wärmere Wassertemperatur herrscht und grundsätzlich weniger Orcas – den einzigen natürlichen Feinden der Pottwale – vorkommen. Diese beiden Faktoren führen dazu, dass die Überlebenschancen der Jungtiere grösser sind.

Wissenswertes über die Pottwale

Während die Muttertiere mit ihren Jungen in kleinen Familienverbunden leben, sind die Bullen eher Einzelgänger. Im Alter von 9-10 Jahren rotten sie sich zu kleinen Jugendbanden zusammen, um gemeinsam in kältere Gewässer zu ziehen – wie zum Beispiel in die ergiebigen Jagdgründe im Bleik Canyon vor Andenes auf Andøya. Die jungen Männchen haben jetzt nur eins im Kopf: Fressen, fressen, fressen, um so mächtig wie möglich zu werden. Denn bei der Fortpflanzung, für die sie vorübergehend wieder nach Süden ziehen, wird das Weibchen seinen Paarungspartner auf Grund seiner Grösse auswählen. Bis zu 20 Meter lang und 60 Tonnen schwer kann ein ausgewachsenes Männchen werden. Die Weibchen hingegen sind deutlich kleiner, maximal 12 Meter lang und rund 30 Tonnen schwer. 

Die Bullen erreichen ihr Geschlechtsreife erst mit dem 19. Lebensjahr. Die Weibchen werden im Alter von 9 Jahren empfängnisbereit und bekommen bis zu ihrem 45 Lebensjahr nur alle 4-5 Jahre ein Junges. Dies entspricht einer der niedrigsten Fortpflanzungsraten in der Tierwelt. Das Neugeborene wiegt bei der Geburt ca. 800 Kilogramm. Obwohl das Junge schon im ersten Jahr feste Nahrung zu sich nehmen kann, wird es von der Mutter mehrere Jahre lang gesäugt. Bis zu 200 Liter der fettreichen Milch (~ 35%) trinkt das Jungtier am Tag und nimmt bis zu 100 Kilogramm pro Tag zu! Da säugen mit dem Schlund eines Zahnwales im bewegten Meer alles andere als einfach ist, wird die Milch vom Muttertier mit Druck ausgespritzt.

Erlebnis Walsafari – auf der Suche nach den Giganten der Meere

Unser Boot, die M/S Reine hat unterdessen die offene See erreicht und wendet sich nicht wie erwartet nach Nord-Nord-Westen, Richtung Bleik Canyon, sondern nach Osten in den Andfjord. Auf Grund der aktuell grossen Fischvorkommen werden die Pottwale zur Zeit hier vermutet. 

Der Spürsinn des erfahrenen Kapitäns Geir macht sich bezahlt. Schon nach 30 Minuten heisst es zum ersten Mal «Blas». Die mit Feuchtigkeit angereicherte Atemluft, der Blas, wird von den Walen nach dem Auftauchen mit viel Druck ausgestossen und kann bis zu vier Kilometer weit gesehen werden. Behutsam manövriert der Kapitän das Schiff in Richtung des Pottwals. Der lässt sich durch die Anwesenheit der Touristen nicht erkennbar stören. Träge im Wasser liegend, atmet er alle 15 Sekunden und erholt sich von seinem letzten Tauchgang.

Viel ist von dem gewaltigen Tier noch nicht zu erkennen. Nur der obere Teil des Kopfes mit dem asymmetrisch links angeordneten Blasloch und die relativ kleine Rückenfinne tauchen regelmässig zwischen den Wellenbergen auf. Dann ruft plötzlich einer der Tourguides “Diving!”. Das ist der Moment, den man als Tourist nicht verpassen sollte. Für unerfahrene Wal-Beobachter nicht erkennbar, hat der Pottwal einen tiefen Atemzug genommen. Sein Rücken krümmt sich, die mächtige, schwarze Schwanzflosse richtet sich nun steil auf und nur einen Augenblick später verschwindet der Wal in der Tiefe des Atlantiks.

Das Blasloch eines Pottwals

Begeistert applaudieren die Leute an Bord des Schiffes. Über Lautsprecher werden die Teilnehmer der Wal Safari auf die auffallende Schwanzflosse hingewiesen. Denn die Pottwale lassen sich dank ihrer individuellen Fluke eindeutig erkennen. Je nach Individuum unterscheiden sie sich durch Form, Pigmentflecken oder gar Bissspuren von Orcas. Beim abgetauchten Tier handelt es sich um Curly. Der Pottwal Bulle hat den Spitznamen auf Grund seiner deutlich eingerollten Schwanzenden bekommen.

Abgetaucht in unvorstellbaren Tiefen

Ein Tauchgang der Pottwale dauert im Schnitt zwischen 35 bis 45 Minuten. Sie können aber über 2 Stunden unter Wasser bleiben und erreichen dabei Tiefen von bis zu 3000 Meter. In diesen Tiefen jagen sie mit Vorliebe nach Tintenfischen. Im Laufe der Evolution haben die Pottwale sich immer perfekter an ihren Lebensraum Hochsee angepasst. Die heutigen Pottwale sind wahre Tiere der Superlative: die grössten Zahnwale, die tiefsten Tauchgänge von Lungenatmern und das lauteste Bio-Sonar im Königreich der Tiere. Da Sonnenlicht nur bis in eine maximale Tiefe von 300m in das Meerwasser vordringt, müssen Pottwale ihre Beute in absoluter Dunkelheit jagen.

Damit Ihnen das erfolgreich gelingt, hat die Natur in den letzten 50 Millionen Jahren ein biologisches Sonar-System entwickelt. Der Pottwal orientiert sich in der Dunkelheit der Tiefsee ähnlich wie eine Fledermaus: Er erzeugt Klicklaute, die eine hohe Reichweite haben. Sobald diese Geräusche auf Widerstand treffen – zum Beispiel einem Beutetier –, werden die ausgesendeten Schallwellen zurückgeworfen. Das Echo verrät dem Wal Struktur, Größe und Entfernung der Dinge in seiner Umgebung. 

Die Kommunikation der Pottwale

Der gewaltige Schädel eines Pottwals macht bis zu einem Drittel seiner Gesamtlänge aus. Zwei riesige Fettkörper bilden dabei den größten Teil der Nase. In der oberen Hälfte liegt das Spermacetiorgan. Dieses wiederum liegt auf dem so genannten Junk, das aus Bindegewebe und fetthaltigen Linsen besteht.

Pottwal Schwanzflosse

Zu Gunsten des Echolotsystems wird der rechte Nasengang nicht mehr ausschliesslich für die Atmung verwendet. Er dient vielmehr dazu, Klicklaute mittels eines pneumatisch betriebenen Mechanismus zu erzeugen. Der rechte Nasengang mündet folglich nicht direkt im Blasloch, sondern zunächst in einen Luftsack (Distalsack). Diese Mündung weist eine ventilartige Form auf, die man “monkey lips” nennt und für die Entstehung der Klicklaute verantwortlich ist. Die Klicklaute wandern zuerst nach hinten, wo sie vom Frontalsack bzw. dem Schädel analog einem Parabolspiegel reflektiert werden. Spermacetiorgan und Junk bilden eine akustische Einheit, in der die linsenförmigen Fettkörper im Junk der Fokussierung des Schalls dienen.

Erstaunlich ist, wie der Pottwal die zurückkommenden Klicklaute hören kann: mit dem Unterkiefer. Die Knochen fangen die Schallwellen auf und leiten sie weiter zur Ohrschnecke, die direkt am Kiefergelenk anliegt und vibriert. Von dort aus werden die Schwingungen an das Gehirn geleitet, das die Information zu einem Bild verarbeitet. Der Pottwal sieht also quasi mit seinen Ohren.

Aber Orientierung mittels Echolots ist nicht die einzige Funktion der Klicks. Sie haben auch für die Kommunikation der Pottwale untereinander eine wichtige Funktion. Die Kommunikationsklicks kommen in der Regel in bestimmten Rhythmen vor und werden Codas genannt. Kanadische Walforscher haben herausgefunden, dass junge Wale die Klicklaute von ihren Eltern lernen und jede Familie eine eigene Lautfolge verwendet.

Eine erlebnisreiche Wal Safari vor Andenes

Nach zwei ereignisreichen Stunden beschliesst der Kapitän umzukehren und den Hafen von Andenes anzusteuern. Insgesamt können wir vier Pottwale bei dieser Safari sichten. Darunter auch zweimal Curly, der sich ein weiteres Mal an der Oberfläche zeigt.

Im milchigen Licht der schräg stehenden Sonne geniessen die Passagiere die Rückfahrt. Einige kontrollieren ihre Fotos und tauschen sich angeregt über das Erlebte aus. Andere lassen sich die heisse Gemüsesuppe, die von der Crew ausgeschenkt wird, schmecken. Da hallt plötzlich der Ausruf «Orcas!» über das Schiff!

Für einen kurzen Moment herrscht Hektik an Bord. Bis allen klar ist, dass tatsächlich drei Orcas auf der Backbord Seite des Schiffes auf- und abtauchen. Hastig werden die Kameras wieder ausgepackt und Mobiltelefone gezückt. Aber der magische Moment dauet nur ein paar kurze Minuten. Dann sind die Schwertwale bereits wieder weitergezogen und ihre namensgebende Rückenflosse verschwindet am grauen Horizont.

Informationen zum Anbieter der Wal Safaris: Whale Safari Andenes

Vor über 30 Jahren wurde Wal Safari Andenes gegründet und somit zählt das Unternehmen zu den erfahrensten Anbietern für Walbeobachtungen in Norwegen. Dank dieser jahrelangen Erfahrung weiß die Crew genau, wo und wie die Pottwale am besten zu beobachten sind. Deshalb bietet Wal Safari Andenes seinen Besuchern eine hundertprozentige Walgarantie! Das bedeutet, dass man als Kunde, falls keine Walbeobachtung stattgefunden hat, ein zweites Mal kostenlos mitfahren kann. Eine Walsafari besteht dabei jeweils aus einer geführten Museumstour und der eigentlichen Bootstour. In den Sommermonaten lassen sich neben Schwertwalen und Grindwalen hauptsächlich Pottwale beobachten. Im Winter besteht zudem die Wahrscheinlichkeit auch Buckelwale, Finnwale oder Schwertwale zu sehen.
The Whale & Dolphin Conservation Society (WDCS) zeichnete Wal Safari Andenes als den weltweit größten und besten Veranstalter arktischer Walsafaris aus.

Die Anreise nach Andenes auf der Vesterålen-Insel Andøya

Mit dem Auto: Bei der Planung der Anreise mit dem eigenen Fahrzeug sollte man – zumindest für eine Teilstrecke – die Route über die offizielle Nationale Landschaftsroute (Nasjonal turistvei) Andøya planen. Diese Strecke führt entlang der Westküste Andøyas durch eine spektakuläre Landschaft in einer der schönsten Regionen Norwegens.

Mit dem Flugzeug: Die norwegische Fluggesellschaft Widerøe bietet täglich Flüge von Narvik, Bodø oder Tromsø nach Andenes an. Aus diesen größeren Orten gibt es wiederum Direktflüge nach Oslo oder in andere Metropolen. In den Sommermonaten bietet überdies die Airline Norwegian Direktflüge zwischen Oslo und Andenes an.

Quellenangaben: Sonarsystem und Kommunikation bei Pottwalen aus anatomischer Sicht
Dr. Stefan Huggenberger
Institut für Biochemie und Biologie, Universität Potsdam, Golm
heute: Zoologisches Institut der Universität zu Köln

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Autor / Autoren:

Stefan Leimer

Stefan Leimer hat sich vor knapp 10 Jahren einen lang gehegten Wunsch erfüllt und ist seither als selbstständiger Fotograf und Journalist tätig. Zur Zeit lebt mit seiner Frau in Andenens (Nod-Norwegen), wo er bei Wal Safari Andenes als Tourguide tätig ist. Nebenbei fotografiert und schreibt er für verschiedene Deutsche und Schweizer Magazine oder Online Plattformen. Der Schwerpunt seiner Arbeit liegt dabei auf der Natur- und Tierfotografie.

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