Kein markierter Wanderweg führt hierher, kein Hinweisschild verrät den Zugang. Wer Simaskaret am Ostufer des Porsangerfjord erreichen will, muss sich seinen Weg durch ein Labyrinth aus bizarren Felsen, Klippen und Geröll bahnen oder einen halsbrecherischen Abstieg auf sich nehmen – immer weiter, immer tiefer, bis das Rauschen der Brandung und die Schreie der Adler die Stimmen der Welt verschlucken. Hier wartet abseits aller bekannten Pfade eine andere, eine schaurig-schöne Welt: Zwischen uralten Wänden aus Schiefer und Sandstein öffnet sich die sagenumwobene Offerhula, Schauplatz dunkler Mythen und Legenden um Schamanen und ihre Rituale …
Wer auf der populären Straße Fv98 das Børselvdalen in der Finnmark durchquert – vielleicht auf der Anreise zum Nordkapp oder in entgegengesetzter Richtung nach Lakselv – ahnt meist nicht, welche Highlights jenseits dieser Route zu entdecken sind.

Kaum jemand nimmt den Abzweig auf die Sværholthalvøya, jene langgezogene karge Halbinsel zwischen Porsangerfjord und Laksefjord, deren nördlicher Teil unbewohnt und wo die Weite der Finnmark mit jedem Kilometer zu sehen als auch zu spüren ist.

Warum auch? Die schmale, teils holprige Straße entpuppt sich als Sackgasse und endet irgendwann im abgelegenen Fischerdorf Veidnes … Und doch lohnt sich aus unserer Erfahrung jeder Kilometer entlang der herrlichen Ostküste des Porsangerfjordes sowie durch das Kjæsdalen.
Dieses tief eingeschnittene Tal trennt die Sværholthalvøya in den südlichen bewohnten und den fast menschenleeren nördlichen Teil mit seiner atemberaubenden Wildnis.

Die Strecke windet sich durch die offene Tundra, vorbei an einzigartigen Klippen aus Kalkstein, tiefblauen Fjordbuchten und immer neuen Aussichten auf Felsen und Wasser. Oft begegnet man hier stundenlang keinem Menschen, dafür aber Rentieren, Seevögeln und mit etwas Glück dem Spiel von Licht und Wolken, das diese Landschaft ständig neu erfindet. Gerade diese Abgeschiedenheit macht die Fahrt zu einem Erlebnis für alle Sinne.

Nur wenige kleine Siedlungen wie Kjæs, Veidnes oder Brenna liegen verstreut in diesem abgelegenen Winkel des Nordens. Die Küste, von steilen Felsen, steinigen Stränden und dem weiten Hinterland geprägt, wirkt an vielen Stellen unberührt, beinahe zeitlos.
Eine Region, wie geschaffen für Mythen, Sagen und Legenden. Und genau deshalb sind wir hier, denn an der Küste, etwas oberhalb von Kjæs, verbergen sich bei Simaskaret spektakuläre Felsformationen, die der samischen Urbevölkerung als Opferstätte dienten.

Simaskaret – versteckt und abgeschieden zwischen steilen Klippen
Wer Simaskaret erreichen möchte, braucht aber nicht nur eine Portion Abenteuerlust, sondern auch eine gewisse Hartnäckigkeit. Vielleicht auch etwas Glück, oder ein Boot – doch dazu gleich mehr. Vom Abzweig in Børselv, am Ostufer des Porsangerfjords, schlängelt sich zunächst die bereits erwähnte Nebenstraße 8060 knapp 50 Kilometer bis zum Weiler Kjæs. Nur wenige Höfe zeugen von einer ganzjährigen Besiedlung der Bucht. Die meisten bunten Holzhäuschen scheinen eher als Sommerhäuser genutzt zu werden.

Neben der Ansiedlung gibt es einige Parkmöglichkeiten, unter anderem einen gut zugänglichen Parkplatz direkt neben der Straße sowie einen erstaunlich geräumigen Wanderparkplatz für die Gipfeltour auf den Kjæsklubben. Von den Parkplätzen sind es bis zur geheimnisvollen Bucht bei Simaskaret nur knapp zwei Kilometer Luftlinie – aber der eigentliche Zugang ist alles andere als offensichtlich und bis heute offenbar ein regelrechtes Geheimnis.

Kein offizieller Weg, kein Hinweisschild, nicht einmal ein Eintrag bei Google Maps. Was tun? Wir haben Glück und treffen auf einem der Höfe eine Frau, die unsere Fragen gern beantwortet und uns bestätigt, dass Simaskaret für die meisten tatsächlich nur mit dem Boot erreichbar ist. “Zu Fuß? Das machen selbst Einheimische selten”, sagte sie lächelnd. Der Weg am Ufer sei ein einziges unwegsames Labyrinth, oft rutschig, durch einige Kletterpassagen zusätzlich beschwerlich und nach Regen kaum passierbar.
Aber auch von oben, über den Berghang des Kjæsklubben und die steilen Klippen, ist der Abstieg alles andere als einfach und stellenweise auch gefährlich. Vor allem, wenn man als Fremde den möglichen Abstiegspunkt nicht kennt. Daher entscheiden wir uns zunächst für die offensichtlich einfachere, aber nervenaufreibende Strecke entlang der imposanten Felsen an der Küstenlinie.





Doch in dem Irrgarten aus Steinen, Felsen und Schluchten, zwischen all den Klettereinlagen sowie dem ständigen Vor und Zurück verrinnt uns die Zeit förmlich zwischen den Fingern. Wir kennen den Weg nicht und finden die entscheidenden Passagen daher kaum oder erst nach ewigem Umherirren. Die Sonne steht bereits tief und wir müssen uns eingestehen, dass wir es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Abbruch!
Werden wir dennoch Simaskaret erreichen?
Doch wir geben nicht auf und recherchieren. Diskutieren, prüfen und verwerfen Optionen, bis feststeht, dass wir über den Berghang wohl doch bessere Chancen haben. Am nächsten Morgen brechen wir erneut auf, schlagen uns irgendwie durch, klettern über loses Gestein, orientieren uns regelmäßig und kämpfen uns durch fast undurchdringliches Birkendickicht.

Beide Wege – an der Küstenlinie entlang oder über den Berghang – verlangen entsprechende Erfahrungen sowie darüber hinaus Kenntnisse beim Kartenlesen und Wandern fernab markierter Wege in Norwegen. Dazu sind eine entsprechende Trittsicherheit sowie körperliche Kondition erforderlich. Man sollte die Risiken auf der Wanderung sowie am Ziel nicht unterschätzen und sich vorab entsprechend darüber informieren. Die anhaltende Erosion führt regelmäßig zu Felsabbrüchen und Einstürzen. Insofern erfolgen jeder Versuch, Simaskaret zu erreichen, und der dortige Aufenthalt auf eigenes Risiko.
“Hier scheint es runterzugehen”, ruft Conny irgendwann schon fast erlösend. Rund 100 Meter unter uns ist eine auffallend größere Bucht mit unzähligen runden Steinen in der Brandung auszumachen. Simaskaret. Wir wagen uns an den halsbrecherischen Abstieg zum Strand und nähern uns mit jedem Höhenmeter einer Wunderwelt aus Stein, die uns förmlich den Atem verschlägt. Eine Welt, die uns förmlich in ihren Bann zieht und von einer kaum zu beschreibenden Aura umgeben ist.

Vielleicht ist es daher kein Zufall, dass Simaskaret so schwer zugänglich ist. Vielleicht haben die Menschen diesen abgelegenen Ort voller unnatürlicher Schönheit ganz bewusst als Opferstätte gewählt – einen Platz, der sich der Welt entzieht, seine Geheimnisse schützt und unter den steilen Klippen vor neugierigen Blicken versteckt bleibt.

Es ist aber auch einer dieser Orte, an denen alles ein wenig stiller wirkt, wie unter einem mystischen Nebel. Es mag an der Abgeschiedenheit liegen oder an den Geschichten, die sich hier seit Jahrhunderten halten. Und tatsächlich: Kaum ein Ort in der Finnmark ist so dicht verwoben mit Mythen, Rätseln und Gerüchten wie dieser.

Die Sage von Simon – Legende oder Geschichte?
Im Zentrum all dieser Legenden steht Simon Kjæs, dessen Name bis heute einigen Alten in der Region einen Schauer über den Rücken jagt. War er wirklich ein mächtiger Noaide – ein samischer Schamane, der zwischen den Welten wandelte? Oder doch eher eine Figur, die in den langen Winternächten am Feuer immer weiter ausgeschmückt wurde, bis niemand mehr wusste, was noch wahr und was längst Fabel war?

Die ältesten schriftlichen Zeugnisse, etwa von Missionar Knud Leem aus dem 18. Jahrhundert, berichten, dass Simons Ruf als Zauberer und Beschwörer über den ganzen Porsangerfjord nachhallt.
Noch Generationen nach seinem Tod erzählt man sich, dass er in der Lage gewesen sei, allein mit seinem Joik – dem samischen Gesang – Menschen in seinen Bann zu ziehen. Junge Frauen, heißt es, folgten seinem lockenden Ruf aus weiter Ferne, fanden sich in der Bucht bei Simaskaret wieder und kehrten nie zurück.
Genial passendes Musikvideo mit einem Joik und Gänsehaut-Garantie:
Andere erzählen, Simon habe in einer “Gamme”, einer einfachen Torfhütte, am Hang über dem Kjæsdalen gewohnt. Sie berichten bis heute, dass man die Überreste dieser alten Behausung, gut versteckt und längst überwuchert, irgendwo in den Hängen über dem Dorf noch immer erkennen könne.
Die genaue Lage bleibt aber ein wohlgehütetes Geheimnis der Einheimischen – nicht zuletzt, um neugierige Besucher fernzuhalten. “Vielleicht”, so sagen sie, “ist es besser, wenn niemand dort gräbt. Manche Dinge sollten einfach verborgen bleiben.”

Geschichten, Legenden und Mythen inmitten einer einzigartigen Kulisse
Vielleicht kam Simon also nur zu besonderen Zeiten in die Offerhula bei Simaskaret – in jenen Nächten, in denen die Welt dünner und das Tor zu anderen Mächten offener schien? In manchen Erzählungen heißt es, Simon sei nur selten in Simaskaret erschienen, sei aber umso gefürchteter gewesen, wenn er dort auftauchte. Immer dann, wenn Opfer gefordert waren, wenn das Dorf von Krankheit, Pech oder bösen Omen heimgesucht wurde.

Knud Leem schrieb auf, was die Leute damals flüsterten: Simon habe nicht nur die üblichen Opfergaben gefordert, sondern in dunklen Nächten sogar Menschen in der Offerhula bei Simaskaret geopfert. Bis heute halten sich seither die grausigen Geschichten über Knochenfunde in der inzwischen teilweise eingestürzten Höhle.

Doch wie so oft in der Finnmark bleibt der Schleier zwischen Fakt und Fiktion undurchdringlich. Einige Dorfbewohner verweisen auf wissenschaftliche Skepsis, auf fehlende Beweise und doch spürt man, dass sie selbst nicht ganz loskommen von der Ehrfurcht, dem schaurigen Respekt vor diesem Ort und seinem Schatten.

Und so stehen wir schließlich hier, nach all den Umwegen, nach Schweiß, Zweifeln und Hoffnung, in dieser Bucht und spüren etwas, das sich kaum in Worte fassen lässt. Vielleicht ist es nur das Echo uralter Angst. Vielleicht aber auch die Ahnung, dass manche Legenden tief in den Steinen, im Wind, in den Blicken der Menschen weiterleben. Simaskaret ist nicht nur ein Ort, sondern ein Mythos, der sich den meisten entzieht und denen, die ihn suchen, Gänsehaut garantiert.

Simaskaret – Wunderwerk der Natur und Eldorado für Fotografen
Doch Simaskaret beeindruckt nicht nur mit seinen Mythen. Denn aufgrund seiner unverwechselbaren geologischen Beschaffenheit ist dieser Ort ein wahres Eldorado und ein Geheimtipp für Fotografen. Denn hier treffen jahrmillionenalte Schichten aus unterschiedlichen Gesteinen aufeinander, übereinander geschoben und gefaltet von gewaltigen Kräften, die diese Region einst aus dem Meer gehoben haben.
Das Licht spielt auf den rauen Flanken, lässt Farben und Texturen immer wieder anders wirken, während die Gezeiten das Gestein polieren und neue Formen freilegen.

Gerade diese seltene geologische Mischung macht die Szenerie so besonders. Steile, teils fast glatte Felswände, abwechselnd durchzogen von dunklen Schieferbändern und helleren Schichten aus Sandstein, dazwischen immer wieder Einsprengsel von Kalkstein und andere Spuren einer uralten, wilden Erdgeschichte.
Wer mit der Kamera unterwegs ist, findet hier an jeder Ecke ein neues Motiv – seien es die markanten Felsformationen direkt am Wasser, das Muster der Sedimente im Abendlicht oder die kleinen Details, die sich erst beim genauen Hinsehen offenbaren.

Gerade jetzt, im Herbst, wenn die wenigen Pflanzen zwischen den Steinen wie goldene Farbtupfer in der Sonne strahlen, wirkt diese Szenerie nochmals überwältigender und so könnten wir hier noch ewig herumstromern, klettern, fotografieren und entdecken.
Abschied von Simaskaret – Wehmut und Glücksgefühl
Doch irgendwann müssen wir zurück und machen uns an den Aufstieg. Uns begleitet ein wehmütiges Gefühl, diese mythische Abgeschiedenheit zu verlassen – aber auch ein Glücksgefühl, sie überhaupt erreicht zu haben.
Auf all unseren Reisen haben wir in Norwegen bislang nur wenige vergleichbare Orte entdecken dürfen. Orte, die einen derart in ihren Bann ziehen und ob ihrer Schönheit förmlich gefangen nehmen.

Insofern würden wir gern irgendwann noch einmal nach Simaskaret zurückkehren, ahnen aber bereits, dass uns die Gefahren und Strapazen auf dem Weg dorthin wohl davon abhalten werden. So behalten wir die Eindrücke als unauslöschliche Erinnerung in unserem Gedächtnis und teilen diese nun hier mit euch …















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