Wie eine riesige Haube liegt die Eisdecke des mächtigen Gletschers Okstindbreen zwischen den Gipfeln des Okstindan-Massivs, das aufgrund seiner Höhe als Dach Nordnorwegens gilt. Die abwechslungsreiche Wanderung zur östlichen Gletscherzunge Austre Okstindbreen ist eine perfekte Möglichkeit, in diese ursprüngliche Landschaft einzutauchen und dem blaustrahlenden Eis ganz nah zu kommen.
Seit jeher erkennen die Einheimischen in den elf Gipfeln des mächtigen Okstindan-Massivs die Spitzen eines Rentier-Geweihs – so schroff strecken sich die ungewöhnlich steilen Berge in den nordnorwegischen Himmel. Eine alpine Skyline, die rund 30 Kilometer südlich von Mo i Rana das Landschaftsbild im Grenzgebiet zu Schweden überragt. Kein Wunder, dass diese dramatisch wilde und weitgehend unberührte Landschaft auf Wanderer, Bergsteiger und Naturliebhaber einen fast magischen Reiz ausübt.

Die Hochtäler und Ebenen dieses imposanten Massivs werden vom Eis des Gletschers Okstindbreen dominiert. Mit einer Fläche von rund 46 Quadratkilometern ist er immerhin der achtgrößte Gletscher Norwegens. Seine zahlreichen Gletscherarme erstrecken sich in den Tälern in alle Himmelsrichtungen und die türkisfarbenen Schmelzwasserflüsse ziehen sich wie farbige Adern durch das Gebirge.
Wissenschaftler, die den Okstindbreen genau untersucht haben, glauben, dass einer der beiden Hauptgletscher des Massivs, der Austre Okstindbreen, der älteste Gletscher Norwegens ist. Tatsächlich deuten ihre Studien darauf hin, dass dies möglicherweise der einzige norwegische Gletscher ist, der seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 9000 Jahren kontinuierlich existiert.
Wanderung zum Austre Okstindbreen – ein Highlight der Region
Neben zahlreichen spektakulären Aufstiegen, gewagten Gipfeltouren und mehrtägigen Hüttenwanderungen in der Region, findet man im östlichen Teil des Okstindan-Massivs eine bislang hauptsächlich bei Einheimischen bekannte Familienwanderung. Die relativ einfache Tour zum Austre Okstindbreen verspricht unvergessliche Eindrücke und fast einzigartige Begegnungen mit dem tiefblau leuchtenden Gletschereis. Für uns ein guter Grund, diese Region zu erkunden und euch diese spektakuläre Wanderung nachfolgend vorzustellen.

Doch zunächst muss man ganz sicher ausgetretene Pfade verlassen und eine durchaus herausfordernde sowie strapaziöse Anfahrt von der Europastraße E12 bis zum Wanderparkplatz unterhalb des Gletschers auf sich nehmen: “Hier soll wirklich noch ein Parkplatz kommen….??” fragen wir uns unaufhörlich, während wir uns auf der staubigen Schotterpiste dem Gebirgsmassiv Okstindan nähern.
Irgendwann verstummt das Autoradio: “Kein Signal” und ohnehin verstärkt sich mit jedem Kilometer unser Eindruck, ganz alleine und irgendwie verloren zwischen unzähligen Flussläufen, Seen und einigen Birken unterwegs zu sein.

Diese rund einstündige Anfahrt über die größtenteils unbefestigte Straße mag wohl ein Grund dafür sein, dass diese Wanderung bislang eher als Insider-Tipp einzuordnen ist … Dennoch ist die Straße – nach unserer Einschätzung – für Kastenwagen und kleinere Wohnmobile durchaus geeignet.
Ausgangspunkt der Austre Okstindbreen Wanderung
Der eigentliche Ausgangspunkt für die Wanderung zum Austre Okstindbreen ist ein befestigter Parkplatz unweit der Hütte Kjensvasshytta-Hütte. Um dorthin zu gelangen, folgt ihr von Mo i Rana etwa 35 Kilometer der Europastraße E12 in Richtung Schweden. Nach der Fahrt durch den Umskardtunnelen biegt ihr an der nächsten Abzweigung links auf die Umskardet ab. Die zunächst noch asphaltierte einspurige Straße “verwandelt” sich im weiteren Verlauf zur bereits beschriebenen, nur notdürftig befestigten Schotterpiste.

Nach rund 45 Kilometern Fahrt durch die nordnorwegische Wildnis erreicht man zunächst die traumhaft gelegene Hütte Kjensvasshytta, eine der Schutzhütten des norwegischen Wandervereins DNT. Im weiteren Verlauf der Strecke, rund 500 Meter entfernt, befindet sich rechterhand der betonierte (!) Parkplatz mit einem kleinen Unterstand für ein Picknick und einer großen Informationstafel.

Hier beginnen einige Wanderrouten der Umgebung, unter anderem der Aufstieg auf den höchsten Gipfel des Okstindan-Massivs, den Oksskolten (1916 Meter über dem Meeresspiegel) oder die markierte Rundwanderung zur Hütte Gressvasshytta. Wir wollen jedoch direkt zum Austre Okstindbreen und folgen daher dem markierten Weg direkt vom Parkplatz.
Aufstieg zum Austre Okstindbreen

Dieser Pfad führt in einem stetigen, teils steilen Anstieg den Berghang bis über die Baumgrenze hinauf. Dort wird ein älteres Gletscherflussbett sichtbar und das Gelände damit etwas steiniger und zugleich unwegsamer. Es lohnt sich kurz innezuhalten und den Blick zurück über den See Kjennsvatnet schweifen zu lassen – ein traumhaftes Panorama. Nur ein kurzes Stück höher erreicht man kleine Hochebene mit flachem Bewuchs und einem Regenwasser-See.






Hier gabelt sich der Weg und wir entscheiden uns für den rechten Pfad. Dieser führt auf einer kurzen Distanz direkt zu einem Abhang, von dessem Rand sich ein spektakuläres Motiv öffnet: Das blaue Eis der Gletscherzunge Austre Okstindbreen mit ihrem grünlich schimmernden Abflusssee und dem darüber thronenden Gipfel des Oksskolten Gipfel.
Am Ziel der Austre Osktindbreen Wanderung

Hier hat man die Wahl, entweder umzukehren oder bis zum Rand des Gletschers hinabzusteigen. Nur an wenigen Orten in Norwegen hat man diese Gelegenheit und kommt dem Eis mit einem vertretbaren Aufwand so nah.
Wir steigen einen schmalen Pfad hinab zum Eis und trauen unseren Augen kaum: Das Eis glitzert in der Sonne wie Billionen Swarovski Steine und leuchtet in den unglaublichsten Schattierungen von Schneeweiß über Türkis bis hin zu Tiefblau.

Selbst aus sicherer Distanz lässt sich die unvorstellbare Schönheit der fast 9000 Jahre alten Eismassen erkennen, leuchten die Furchen, Höhlen und Spalten in einem kräftigen Blau und zeigen wundersame Skulpturen aus Eis, wie nur die Natur sie schaffen kann. Das Schmelzwasser tropft und gurgelt, während aus dem Eis immer wieder Geräusche zu vernehmen sind, so, als würde der Gletscher leben und seine Geschichte erzählen.



Dennoch ist natürlich generell Vorsicht geboten – sowohl beim Abstieg über das Geröll als auch an der fragilen Gletscherkante. Es können jederzeit und ohne Vorzeichen größere Eismassen abbrechen oder sich in der brüchigen Landschaft Steinlawinen lösen.
Der Rückweg vom Austre Osktindbreen

Nach einer ausgiebigen Pause steht man erneut vor der Wahl, den gleichen Weg zurückzugehen (GPX Daten und Weg in unserer Landkarte) oder der Uferlinie des Gletscher-Sees im freien Terrain, OHNE Wegmarkierung zu folgen. Wir entscheiden uns für die letztere Option, kraxeln über einige Felsen und folgen einem stellenweise erkennbaren Trampelpfad am Seeufer, bis wir auf diese Weise irgendwann den offiziellen und mit einem roten “T” markierten Wanderweg zur DNT Schutzhütte Gressvasshytta erreichen.

An dieser Stelle halten wir uns links und nutzen diesen Trail zum Aufstieg zu der kleinen Hochebene mit dem Regenwasser-See. Auf unserer so improvisierten Rundwanderung erreichen wir schon bald wieder die bereits beschriebene Weggabelung an dem kleinen Regenwasser-See. Von hier aus ist es ein einfacher Abstieg auf dem uns bereits bekannten Weg zum Parkplatz.

Alternative Route zum Austre Okstindbreen
Es gibt noch eine weitere Option für die Wanderung: Wer mag, kann sich an der Weggabelung vor dem Regenwasser-See links halten und direkt zum Abflusssee des Austre Okstindbreen hinabsteigen. Auch auf dieser Route bietet sich ein unvergesslicher Blick über die Szenerie mit den Eismassen des Gletschers und den türkisfarbenen See – überragt vom steilen Gipfel des Oksskolten (Titelbild dieses Beitrages).
Wenn ihr eine längere Wanderung bevorzugt, könnt ihr diese Tour auch bis zum See Gressvatnet fortsetzen und entlang seiner südlichen Uferlinie zum Ausgangspunkt zurückgehen. Eine traumhafte, fünf Kilometer lange Rundwanderung mit unvergesslichen Impressionen dieser norwegischen Wildnis.

Fazit der Wanderung zum Austre Okstindbreen
Die Wanderung zum Austre Okstindbreen ist ein unvergessliches Erlebnis, das sowohl atemberaubende Natur als auch spannende Herausforderungen bietet. Die Aussicht auf den Gletscher und die umliegende Berglandschaft ist jede Anstrengung wert.
Ob ihr nun den direkten Weg zum Gletscher wählt oder die längere Route über den Abflusssee nehmt – ihr werdet von der Schönheit und Wildheit dieser einzigartigen Region begeistert sein. Plant eure Wanderung gut, nehmt genügend Proviant mit und genießt die einmalige Gelegenheit, einen der schönsten und ältesten Gletscher Norwegens zu erleben.

Karte, Fakten und GPX Daten der Wanderung zum Austre Okstindbreen
- Hier findest du eine Übersicht zu den Einstufungen und Kriterien der Schwierigkeitsgrade in Norwegen.
- Gutes Schuhwerk und winddichte Kleidung sind ratsam, da das Wetter am Gletscher schnell umschlagen kann.
- Wohnmobil-Stellplatz in der Nähe: Hauknes Marina an der Europastraße E6 nahe Mo i Rana.
- Vorsicht am Gletscher: Das Eis ist immer in Bewegung, das Betreten ohne erfahrenen Guide ist lebensgefährlich.
- Es gibt unterwegs zahlreiche Möglichkeiten zur Aufnahme von frischem Trinkwasser.
- In unserem kompletten Überblick stellen wir 19 Gletscher in Norwegen vor – eventuell findest du dort (weitere) Inspirationen.

Bonus: Schutzhütten und weitere Ziele in der Umgebung
Die Region rund um das Okstindan-Massiv bietet eine Vielzahl weiterer Wanderziele und Schutzhütten, die sowohl für erfahrene Bergsteiger als auch für weniger erfahrene Wanderer geeignet sind:
Schutzhütten im Okstindan-Massiv
Rabothytta
Die Rabothytta, eine der coolsten Wanderhütten Norwegens, liegt auf 1200 Metern über dem Meeresspiegel am Rande des Vestisen-Gletschers. Die architektonisch ansprechende und zunehmend populäre Hütte ist ein idealer Ausgangspunkt für Gletscherwanderungen, sei es zu Fuß, mit Schneeschuhen oder auf Skiern.
Kjensvasshytta
Die Kjensvasshytta liegt idyllisch am See Kjensvatn auf etwa 500 Metern Höhe und bietet den besten Ausgangspunkt, um den Oksskolten oder die Gressvasshytta zu erreichen. Zugleich kann man eine Übernachtung in der Kjensvasshytta perfekt mit der beschriebenen Wanderung auf den Austre Okstindbreen kombinieren.

Gressvasshytta
Die Gressvasshytta befindet sich auf der Nordostseite des Okstindan-Massivs und bietet Zugang zu weiteren Wanderwegen und Gletscherüberquerungen. Diese Hütte ist ein guter Stützpunkt für längere Wanderungen in der Region. Zugleich bietet sich die Gressvasshytta als Meilenstein oder für eine Übernachtung auf der Rundwanderung Austre Okstindbreen und Gresvatnet an.
Gråfjellhytta
Westlich des Okstindan-Massivs liegt die Gråfjellhytta, die ideal für Wanderungen in den westlichen Teilen des Gebirges ist.
Zusätzlich gibt es einfache Unterkünfte wie die Steinbua-Hütte im Leirskardal-Tal und eine „køte“ (samische Torfhütte) im Spjeltfjelldal-Tal für diejenigen, die weniger Komfort bevorzugen. Auf der Südseite des Okstind-Massivs liegt der Bauernhof Stekvasselv, der Unterkünfte zum etwa gleichen Preis wie die Hütten des Wandervereins bietet.
Zugang zu verschiedenen Tälern
- Leirskardalen: Von Korgen aus führt eine ganzjährig geöffnete Straße nach Melkarhella. Im Sommer erreicht man auf dieser Strecke eine Höhe von rund 700 Metern über dem Meeresspiegel und damit einen guten Ausgangspunkt für Wanderungen zur Rabothytta-Hütte oder weiter über den Vestisen-Gletscher und im weiteren Verlauf zur Kjensvasshytta.
- Brygfjelldalen: Dieses Tal bietet Zugang zur Gråfjellhytta und im weiteren Verlauf zur Rabothytta. Eine andere Route führt über den Fluss Oksfjellelv und Skardet zum Nord-Røssvatn-See.
- Bessedørdal, Steivvassdal und Spjeltfjelldal: Diese südlichen Täler bieten Zugang zu zahlreichen Gipfeln und Gletschern des Okstindan-Massivs. Eine Rundwanderung um das Massiv ist ebenfalls möglich, mit Übernachtungen in den verschiedenen Hütten entlang der Strecke.

Literaturtipps für deine Reise nach Norwegen
Equipment für die perfekte Wanderung
- Die passende Wanderausrüstung gibt es bei: GLOBETROTTER | BERGZEIT
Hallo, wir sind gestern, am 17.09.2024, den mit “T” markierten Rundweg vom Parkplatz zum Gletscher, und weiter zur (verschlossenen) Gressvasshytta, dann am Gressvassnet zurück zum Parkplatz gewandert. Bis zur Hütte war alles bestens und der Weg mit entsprechendem Schuhwerk und etwas Kondition gut machbar. Ab dann wurde es sehr anspruchsvoll, mit zahlreichen morastigen Flächen und schmalen, steilen Passagen an glatten und rutschigen Felsen. An einigen Stellen musste man sich zwischen großen Geröllbrocken hindurchzwängen. Die Markierungen waren teils nicht vorhanden bzw. unter Geröll begraben. Wir waren insgesamt ca. 10 Stunden unterwegs, davon 5 Stunden bis zur Hütte und 5 Stunden bis zum Parkplatz. Bitte seid so nett und ergänzt Euren tollen Beitrag um eine Warnung vor dem offiziellen Rundweg, dieser ist zwischen der Hütte und dem Parkplatz sehr anstrengend und nur für Geübte zu empfehlen.
Ich war heute da und bin vom Parkplatz gestartet. Die Fahrt dahin ist schon herausfordernd.
Eure Beschreibung vom Weg hin und am Gletschersee entlang ist hervorragend beschrieben. Der Gletscher selbst und sein See sind hervorragende Fotomotive.
Danke für die Beschreibung.
Danke, daß Ihr diesen – nach unserer Unterhaltung auf dem Testival in Berlin von mir heiß ersehnten – Beitrag noch “rechtzeitig” für meine Tour gepostet habt. Das sieht ja mal gigantisch aus, nochmal besser als der Svartisen, da MUSS ich hin, ich liebe Gletscher! Fotos wie immer grandios!
Und die 45km Anfahrt auf Schotter finde ich persönlich ja eher reizvoll als abschreckend. Die Rabothytta hatte ich schon markiert, laut Internet nehmen die Eintritt für “nur mal gucken” in der fancy Hütte. Aber die Lage ist schon sensationell schön. Aber ich folge euren Pfaden! 😉
Leider, leider konnten wir die Wanderung Anfang Juni 2024 doch nicht machen, denn die Zufahrtsstraße war kurz hinter dem Staudamm noch mit Altschneefeldern blockiert…
Na ja, nächstes Mal dann.
C.