Gotland – das Herz der Ostsee – war nicht immer eine einzige große Insel. Nach der letzten Eiszeit, als das gewaltige Inlandeis zu schmelzen begann, hob sich das Land allmählich aus dem Meer. Was wir heute als Gotland kennen, war damals ein Archipel: eine Gruppe kleiner Inseln, die sich erst über Jahrtausende zu einer zusammenhängenden Landmasse verbanden.
Bis heute ist Gotland von zahlreichen kleinen und größeren Inseln umgeben – viele davon unbewohnt, manche im Sommer von Schafen bewohnt, einige ein wahres Naturparadies. Die bekanntesten unter ihnen sind Fårö im Norden und Stora Karlsö vor der Westküste. Zwei Inseln, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten und doch sind beide typisch gotländisch.

Fårö – Magische Raukfelder und stille Zeitreisen
Schon der Weg nach Fårö lohnt sich. Kurz bevor man in Fårösund die Fähre zur Insel nimmt, lohnt ein Zwischenstopp beim Bungemuseum.
Das Freilichtmuseum zählt zu den größten in Schweden und vermittelt eindrucksvoll, wie das Leben auf Gotland früher aussah: Mit über 70 historischen Gebäuden – von alten Bauernhöfen bis zu Werkstätten und einer rekonstruierten Fischersiedlung – bietet es spannende Einblicke in mehrere Jahrhunderte Inselgeschichte.
Wer Zeit hat, sollte sich hier einen eigenen Tag gönnen. Aber auch ein kurzer Halt lohnt sich: Das kleine Café auf dem Gelände ist ein echter Geheimtipp. In rustikaler Umgebung gibt es selbst gebackenen Kuchen, und wenn es draußen kühl ist, knistert ein Feuer im offenen Kamin.
Anreise nach Fårö
Die Anreise nach Fårö ist unkompliziert. Vom Ort Fårösund auf Gotland aus verkehrt eine kostenlose Autofähre zur Insel. In den Sommermonaten fahren bis zu drei Fähren nonstop, ansonsten fährt eine Fähre alle 30 Minuten. Gerade an sonnigen Tagen in der Hochsaison kann es allerdings zu Wartezeiten kommen, denn Fårö gehört zu den beliebtesten Ausflugszielen der Region.
Was Fårö so einzigartig macht: Die Insel wurde nie neu vermessen oder grundlegend umgestaltet. Es hat keine Landreform gegeben, wie sie in anderen Teilen Schwedens stattfand. Die Einteilung von Straßen, Höfen und Feldern ist bis heute fast identisch mit den Karten aus dem Mittelalter. Viele der alten Gehöfte tragen noch Grasdächer und wirken, als hätte die Zeit sie einfach vergessen. Wer über die Insel fährt, erlebt ein Stück Vergangenheit – ganz ohne Inszenierung.

Zudem ist die Insel für ihre traumhaften Sandstrände bekannt. Einer der schönsten ist der weitläufige Strand von Sudersand. Wer nur zum Baden auf die Insel möchte, muss übrigens nicht mit dem Auto anreisen. In den Sommermonaten gibt es eine direkte Busverbindung von Visby nach Fårö.
Raukfelder, Fischerhütten und karge Küsten
Fårö ist überdies bekannt für seine Raukfelder. Diese bizarr geformten Kalksteinformationen sind über Jahrtausende durch Wasser und Wellen entstanden. Die eindrucksvollste Route zu diesen Naturwundern führt entlang der Westküste der Insel. Ausgangspunkt ist die kleine Kirche von Fårö. Von dort verläuft eine Küstenstraße über Gamle Hamn bis hinauf nach Langhammars.

Der erste Halt lohnt sich bei Gamle Hamn, einem wilden Küstenabschnitt mit einem besonders eindrucksvollen Raukfeld. Die Landschaft ist offen, karg und wirkt beinahe unberührt. Hier kann man stundenlang unterwegs sein und dabei die außergewöhnlichen Kalksteinformationen entdecken. Besonders bekannt ist eine Formation, die, der „Hund“ genannt wird. Im August geht dort die Sonne genau hinter der Silhouette dieses Rauks unter. Ein Motiv, das nicht nur Hobbyfotografen und Naturliebhaber anlockt.
Ein Stück weiter nördlich liegt die ehemalige Fischerstelle Helgumannen. Sie gehört zu den bekanntesten Fiskelägen Gotlands. Diese sind bis heute noch überall an der Küste zu finden. Die Bauern, deren Höfe im geschützten Inland lagen, kamen mehrmals im Jahr hierher, um einige Tage lang zu fischen. Heute erinnern die schlichten Holzhütten an diese Zeit und erzählen still vom harten Leben vergangener Generationen.

Kurz darauf erreicht man das größte Raukfeld Gotlands. Langhammars ist ein Ort voller Wucht und Schönheit. Meterhohe Kalksteinsäulen ragen hier aus dem Boden empor und verleihen der Landschaft eine fast monumentale Wirkung. Viele Besucher halten diesen Ort für das eindrucksvollste Naturdenkmal der Insel. Wer Fårö besucht, sollte Langhammars auf keinen Fall auslassen.
Auf den Spuren von Ingmar Bergman
Fårö ist nicht nur für seine Natur bekannt, sondern auch für seine kulturelle Bedeutung. Der schwedische Regisseur Ingmar Bergman lebte viele Jahre auf der Insel. Einige seiner bekanntesten Filme wurden hier gedreht. Die karge, stille Landschaft Fårös wurde für ihn zu einer Bühne, auf der er die großen Themen des Lebens inszenierte.
Bergmans Grab befindet sich auf dem kleinen Friedhof neben der Inselkirche. Es ist schlicht gehalten und zieht jedes Jahr viele Besucher an, besonders aus Deutschland und Skandinavien. Nur wenige Minuten entfernt liegt das Bergmancenter. In einer Ausstellung werden dort sein Leben und Werk anschaulich dargestellt. Auch Filmausschnitte, Interviews und persönliche Gegenstände gehören dazu. Wer sich für Film und Kultur interessiert, sollte hier unbedingt vorbeischauen.
Crêpes, Rockmusik und Meerblick – Fårös Kultorte
Wenige Kilometer nördlich von der Kirche liegt ein Ort, der irgendwie einen Kultstatus erreicht hat. Kutens Bensin war früher eine Tankstelle. Heute ist es eine Mischung aus Museum, Konzertbühne und Crêperie. Zwischen alten Autos und Schildern aus vergangenen Jahrzehnten werden hier Galettes und Crêpes serviert, die auf ganz Gotland ihresgleichen suchen. Im Sommer ist der Andrang groß, und es bilden sich lange Schlangen auf dem Parkplatz.

Direkt daneben liegt Elsie’s Café, das in den Wintermonaten geöffnet hat. Es ist eines der gemütlichsten Cafés auf der Insel und begeistert die Gäste mit hausgemachten Kuchen. Nur wenige Schritte entfernt befindet sich das Bistro Albatross. Dort werden Lammbraten, Fisch und andere Spezialitäten aus der Region serviert. Das Besondere ist der Blick aufs Meer, der jedes Essen begleitet. Es ist ein Ort, den man nicht vergisst.
Stora Karlsö – Naturinsel voller Leben
Im Westen Gotlands, rund sieben Kilometer vor der Küste bei Klintehamn, liegt Stora Karlsö. Die Insel ist klein, abgelegen und wirkt auf den ersten Blick beinahe unscheinbar. Doch wer einmal dort war, weiß, wie besonders dieser Ort ist.

Anreise nach Stora Karlsö
Die Überfahrt erfolgt mit der Fähre M/F Stora Karlsö, die einmal täglich am Vormittag vom Hafen in Klintehamn ablegt. Die Fahrt zur Insel dauert etwa 30 Minuten. Hält das Schiff zusätzlich bei der Nachbarinsel Lilla Karlsö, verlängert sich die Überfahrt um 10 Minuten.
Von Visby aus erreicht man den Hafen in Klintehamn in etwa 30 Minuten mit dem Auto. Direkt am Anleger stehen kostenlose Parkplätze zur Verfügung. Wer mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen möchte, kann die Buslinie 10 von Visby nach Klintehamn nutzen. Die Fahrt dauert rund 40 Minuten. Den aktuellen Fahrplan gibt es bei Landsbygdstrafiken Gotland.

Wer den Tag verlängern möchte, kann auf der Insel übernachten – entweder in einfachen Hütten, in der Jugendherberge oder sogar im historischen Leuchtturm. Eine frühzeitige Reservierung ist allerdings unbedingt zu empfehlen, denn die Plätze sind begrenzt.
Führung, Geschichte und gutes Essen
Im Preis des Bootstickets ist eine geführte Wanderung rund um die Insel enthalten. Besonders für Erstbesucher lohnt sich die Teilnahme, denn unterwegs gibt es viel zu entdecken. Die Insel ist reich an Natur, aber auch an Geschichte.
Auf der Nordseite befindet sich die Höhle Stora Förvar, ein bedeutender Fundort aus der Steinzeit. Hier entdeckten Archäologen Überreste von Menschen, Tieren und Werkzeugen – Zeugnisse aus über 8.000 Jahren Vergangenheit. Auch mehrere bronzezeitliche Grabhügel, wie Lauphargi oder Rösju, sind auf der Insel zu finden. Einer von ihnen wurde schon von Carl von Linné beschrieben und ist heute mit einer Esche bewachsen.
Wer keinen eigenen Proviant mitbringen will, kann sich im kleinen Restaurant nahe der Anlegestelle stärken. Dort werden einfache, aber gute Gerichte serviert – ideal für eine Pause mit Meerblick.
Orchideen, Trottellummen und das große Springen
Besonders eindrucksvoll ist ein Besuch auf Stora Karlsö im späten Frühling und Frühsommer. Dann verwandelt sich die Insel in ein Paradies für Naturfreunde. Über zwanzig verschiedene Orchideenarten blühen auf den kargen Wiesen, darunter auch seltene Arten wie die Fliegen-Ragwurz.
Noch spektakulärer ist jedoch das Vogelgeschehen. An den steilen Klippen rund um den Leuchtturm brüten im Juni Zehntausende Seevögel – allen voran die Trottellummen und Tordalken. Etwa 25.000 Paare der Trottellumme ziehen hier ihre Jungen groß.




Ein ganz besonderer Moment ist das „große Springen“ Ende Juni. Dann verlassen die jungen Lummen plötzlich in der Abenddämmerung die Felsen und stürzen sich, scheinbar unbeholfen, in die Tiefe. Unten im Wasser wartet bereits der Vater, den sie anhand seiner Stimme erkennen. Es ist ein einzigartiges Naturschauspiel …
Nach diesem Ereignis leert sich die Insel. Die Vögel verschwinden aufs offene Meer, der Felsen wird still – bis im nächsten Frühjahr alles von Neuem beginnt.
Fazit: Zwei Inseln rund um Gotland, die unbedingt auf die To-Do Liste gehören.
Für uns gehören Fårö und Stora Karlsö zu den eindrucksvollsten Orten rund um Gotland. Jede Insel auf ihre Weise: Fårö mit seinen weiten Küsten, knorrigen Kiefern und den stillen Spuren vergangener Zeiten. Stora Karlsö mit seinem wilden Leben auf engstem Raum, den Vogelfelsen und den unglaublichen Orchideenwiesen.
Servus Sigrid und Helmut,
was für eine schöne Beschreibung meiner schwedischen Lieblingsinsel👍. Bekomme gleich wieder Fernweh.
“Besonders bekannt ist eine Formation, die, der „Hund“ genannt wird. Im August geht dort die Sonne genau hinter der Silhouette dieses Rauks unter.”
Ja, ein traumhafter Ort.
Dieser Timelapse ist mir 2016 gelungen, musste allerdings 8 Tage auf passendes Wetter warten.🙄
https://youtu.be/lDb0uNteIqQ?si=-JzVaglI4bRXSkwR
Liebe Grüße Micha