Am nördlichsten Rand Europas, dort, wo das Asphaltband der Norwegischen Landschaftsroute Varanger endet und die Brandung der Barentsee unerbittlich die karge Küste der Finnmark umtost, liegt Hamningberg. Eine abgelegenes Fischerdorf, das dem Feuersturm des Krieges entkam, in den Jahren danach langsam verwaiste, aufgegeben wurde und doch nie ganz verschwand. Noch heute erzählen die Fassaden der bunten, teils verwitterten Holzhäuser von vergangenen, besseren Zeiten. Jeder Windstoß trägt Geschichten über die Weite, die sonst kaum noch jemand bewahrt.
Und so beginnt hier, wo Europa endet, eine Reise in die Vergangenheit. Eine Reise, zu der man gezielt aufbricht, den Spuren aus Geschichte(n) und Erinnerungen folgend. Und zu der wir euch in diesem Beitrag mitnehmen: Willkommen in Hamningberg.
- Mehr als ein Dorf am Ende der Straße
- Anreise nach Hamningberg: Über die Landschaftsroute Varanger ans Ende Europas
- Vom Fischerleben, russischen Händlern und dem langen Warten auf einen Hafen
- Hamningberg im Krieg: Zwischen Küstenfestung und neuer Hoffnung
- Das leise Ende von Hamningberg
- Erinnerungen aus Holz, Teer und Stein
- Wanderung zur Höhle "Ovn" in der Skjåvika
- Auf den Spuren der Geschichte: Das Bunkersystem über Hamningberg
- Beobachtungshütte am Ortsrand
- Mahnmal am Meer: Die Rettungsaktion von 1894
- Abgelegene Traumbuchten: Indre & Ytre Syltevika
- Sandfjordneset – Dünen, seltene Pflanzen und ein Karibikstrand
- Persfjorden – Weite, Wellen und Widerstand
- Fazit: Hamningberg – ein Ort, den man nicht vergisst
- NORWEGENS NORDEN: KYSTRIKSVEIEN UND HELGELAND
Mehr als ein Dorf am Ende der Straße
Hamningberg ist mehr als nur der Schlusspunkt einer Reise auf der Landschaftsroute Varanger. Es ist vielmehr der Beginn einer ganz besonderen Erfahrung. Denn wer sich aufmacht, der imposanten Küstenstraße an der Ostseite der Halbinsel Varanger bis zu ihrem Ende zu folgen, landet nicht einfach in einem Fischerdorf. Sondern an einem der eigenwilligsten, eindrucksvollsten und berührendsten Orte der Region.

Nur wenige Häuser, kein Supermarkt, keine Tankstelle. Dafür aber Stille, Weite und eine fast surreale Mischung aus Verfall, Erinnerung und leiser Zuversicht. Ein nahezu morbider Charme, der von den farbigen Fischerhäusern und einer karibikähnlichen Strandlandschaft auf kontrastreiche und unverwechselbare Weise garniert wird.
Doch nicht nur dieses Flair, die reiche Geschichte und die abgeschiedene Lage zeichnen Hamningberg aus. Sondern vor allem das, was bewahrt wurde und das Dorf bis heute prägt.

Ein Dorf, das zum Kriegsende nicht brannte, das nicht planiert wurde und daher bis heute weitgehend so erhalten ist, wie es in der Vergangenheit aussah. Man hat fast das Gefühl, als wären die Dorfbewohner nur mal eben kurz weggegangen und nicht zurückgekehrt.
Gleichzeitig ist Hamningberg kein inszenierter Ort für Besuchergruppen, keines der errichteten Freilichtmuseen. Im Gegenteil: Die alten Holzhäuser, Anleger, Bootshütten und Stallungen gehören bis heute den Familien von einst. Einige kehren im Sommer zurück, kümmern sich um die Restaurierung oder betreiben mit viel Herzblut ein kleines Café. So lebt der Ort – vorerst noch leise und ganz eigen. Aber er lebt …

Anreise nach Hamningberg: Über die Landschaftsroute Varanger ans Ende Europas
Die Anreise nach Hamningberg beginnt auf einem der spektakulärsten Straßenabschnitte des Nordens – der Norwegischen Landschaftsroute Varanger. Sie ist eine der achtzehn offiziellen Routen, die von der norwegischen Straßenverwaltung ausgewählt und ausgebaut wurden, um einzigartige Landschaften mit gut erschlossener Infrastruktur erlebbar zu machen. Zwischen Varangerbotn und Vardø verbindet sie an der Ostseite der Halbinsel Varanger die herrliche Weite mit Kultur, Geschichte, Vogelklippen und Fischerdörfern.

Doch ab Vardø, dem östlichsten Punkt dieser offiziellen Route, ändert sich der Charakter der Strecke. Die Straße wird zur schmalen, holprigen Asphaltspur, die sich fortan rund 40 Kilometer lang durch eine der faszinierendsten Küstenlandschaften Norwegens windet. Begleitet vom Getöse der Meeresbrandung folgt man diesem Band, das sich über Geröllfelder, entlang schroffer Steilklippen und durch malerische Buchten zieht.

Schwarzer Schiefer reckt sich wie stumpfe Klingen auf martialische Weise gen Himmel, blank gescheuerte Felsen stehen am Straßenrand Spalier. Wir fühlen uns in einer außerirdisch anmutenden Landschaft, irgendwo zwischen den Welten aus “Herr der Ringe” und Island.

An den Buchten von Sandfjord und Persfjord wird die Straße von feinsandigen Stränden flankiert, auf denen sich im Sommer Rentiere in der Meeresgischt abkühlen oder friedlich in den Dünen äsen. Hoch über den steilen Klippen kreisen Seeadler, Möwen und Küstenseeschwalben. Und irgendwann – ohne große Vorankündigung – prangt in weißen Lettern auf tiefblauem Grund: Hamningberg. Willkommen am Ende der Straße, willkommen am Ende Europas.
Von Oktober bis etwa Mai ist die Strecke gesperrt – Hamningberg ist dann von der Außenwelt abgeschnitten. Doch wer im Sommer den Weg auf sich nimmt, wird mit dem Gefühl belohnt, einen Ort gefunden zu haben, den man nie mehr ganz vergisst.

Vom Fischerleben, russischen Händlern und dem langen Warten auf einen Hafen
Die Ursprünge Hamningbergs reichen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück, als sich die ersten Fischer an dieser entlegenen Stelle der Varangerküste niederließen. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich Hamningberg langsam zu einem bedeutenden Fischerdorf. Um 1900 lebten rund 450 Menschen dauerhaft im Ort, während sich zur Hauptfangzeit über 1.000 Fischer aus ganz Nordnorwegen und Russland hier drängten.

Die kleine Bucht wurde dann zur pulsierenden Anlegestelle – voller Fässer, Netze, Trockenfischgestelle, improvisierter Verkaufsbuden. Männer zogen mit offenen Booten aufs Meer, Frauen nähten Langleinen in der Küche, Kinder spielten zwischen Fischgestellen und Schafzäunen. Die Arbeitsteilung war klar, das Leben hart – aber es war ihr Leben.
Für den weiteren Aufschwung war der sogenannte Pomorhandel ausschlaggebend: Russische Händler aus dem Norden segelten jeden Sommer entlang der Küste. Sie tauschten Mehl, Holz und Teer gegen Stockfisch, Tran oder Leder. Hamningberg war einer von nur sechs Orten, an denen die Pomoren offiziell anlanden durften. Viele der heute noch stehenden Holzhäuser wurden mit russischem Bauholz errichtet. Es ist sogar überliefert, dass manche Häuser in Russland vorgefertigt und in Hamningberg wiederaufgebaut wurden.

Der kleine Naturhafen – kaum mehr als eine geschützte Bucht zwischen Felsen – reichte gerade aus, um kleinere Boote bei ruhiger See anlanden zu lassen. So wurde mit dem Aufschwung die Hafensituation zur ständigen Herausforderung. Und das Meer nahm sich, was es wollte. Immer wieder strandeten Schiffe in der engen, ungeschützten Bucht.
Immer wieder beschädigten Stürme Boote – so wie im Frühjahr 1894, als ein schwerer Sturm fast 85 Fischerboote zerstörte. Danach schrieben die Fischer an das norwegische Parlament und baten um eine sichere Mole, einen ausreichend geschützten Hafen.
Sie warteten Jahrzehnte. Ohne Erfolg. Der Hafen blieb zu klein, und so nahm die Geschichte ihren Lauf.

Hamningberg im Krieg: Zwischen Küstenfestung und neuer Hoffnung
Der Zweite Weltkrieg erreichte Hamningberg am 9. April 1940. Wie viele andere Küstenorte in der Finnmark wurde auch Hamningberg zum Außenposten der deutschen Besatzung an der Barentssee.
Auf den Höhen über dem Ort entstand ein Küstenfort, ausgestattet mit schwerer Artillerie. Ein Teil der deutschen Garnison wurde in Bootshäusern, Wohnhäusern und Vorratsschuppen im Ort einquartiert. Das Fischerdorf wurde zum militärischen Stützpunkt. Wer konnte, zog sich in abgelegene Hütten in den umliegenden Buchten zurück. Viele Familien verbrachten die Kriegsjahre in einfachen Verhältnissen in Sandfjord oder in der Skjåvika, um der deutschen Präsenz und Kontrolle zu entkommen.

Als im Herbst 1944 die Rote Armee aus dem Osten vorrückte, begann in der östlichen Finnmark der deutsche Rückzug. Er wurde aufgrund des berüchtigten “Verbrannte-Erde” Befehls Hitlers von der systematischen Zerstörung ganzer Ortschaften begleitet. Städte und Dörfer brannten, Menschen wurden gewaltsam evakuiert, Existenzen ausgelöscht.
Aber: Hamningberg blieb verschont. Warum, weiß bis heute niemand mit Gewissheit. Vielleicht war es der Zeitdruck, vielleicht die Gerüchte über die nahenden russischen Truppen. Jedenfalls verließen die deutschen Besatzer das Dorf fluchtartig. Zu Fuß und ohne etwas mitzunehmen. Die Einheimischen erzählen bis heute: “Die Soldaten flohen so hastig, dass die Töpfe noch dampfend auf dem Herd standen.”
Und so geschah, was anderswo in der Finnmark undenkbar war: Die Holzhäuser, der Væreiergård, die Bootshütten, das Telegrafenhaus – fast alles blieb stehen. Unversehrt. Verstummt. Ein Dorf wie ein eingefrorenes Zeitdokument.

Das leise Ende von Hamningberg
Nach dem Krieg keimte mit der Rückkehr der Einwohner neue Hoffnung auf. Der Ort war unversehrt geblieben. Die Häuser standen. Die Boote lagen bereit. Warum also nicht neu anfangen?
Doch der ersehnte Neubeginn kam nie. Stattdessen begann ein zähes Ringen um eine sichere und lebensnotwendige Hafenanlage, um die Zukunft. Immer wieder schickte man Bauanträge, Entwürfe, Bittschreiben an die Provinz, an die Regierung, an die Hafenaufsicht. Immer wieder wartete man. Und wartete. Doch vergebens – Hamningberg stand auf der Prioritätenliste ganz unten.

Dabei harrten zu dieser Zeit noch etwa 300 Menschen im Dorf aus. Die Schule war geöffnet, die Netze wurden weiterhin geflickt, der Fisch getrocknet. Doch die Zeit lief gegen sie. Als nach Jahren der Hoffnung, Mitte der 1960er-Jahre offensichtlich wurde, dass es keinen zeitgemäßen Hafen und damit keine Perspektive geben wird, verließen die ersten Familien das Dorf.
Die Schule wurde geschlossen. Weitere Familien verließen Hamningberg, denn die Lebensgrundlage zerfiel und mit ihr die Hoffnung. Hamningberg war am Ende. 1974 wurde ein Kamerateam des NRK in den Ort geschickt. Es entstand ein Film, der Norwegen erschütterte.
“Norwegen hat uns vergessen.”
Aksel Ramberg (Einwohner von Hamningberg) in der TV-Dokumentation
“Norge har glemt oss.” sagte Aksel Ramberg, damals 69 Jahre alt und dennoch der jüngste, der letzten vier Bewohner des Dorfes, in der eindrucksvollen Dokumentation.
Drei Jahre später war niemand mehr geblieben. Einige nahmen ihre Häuser mit, zerlegten Balken für Balken und bauten sie anderswo wieder auf. Andere ließen ihre Häuser stehen, als stille Wächter einer verlorenen Siedlung. Nicht verbrannt. Nicht zerstört. Nur verlassen.

Erinnerungen aus Holz, Teer und Stein
Lange war es still um Hamningberg. Die Häuser verblassten im Wetter. Fensterläden lösten sich, Boote verwitterten, und die Nordmeersonne bleichte, was der Salzwind nicht längst fortgetragen hatte. Die Natur holte sich die ehemals lebendige Siedlung zurück.
Was blieb, waren die Erinnerungen. Und mit ihnen die Nachkommen. Immer mehr Familien begannen, im Sommer zurückzukehren – zunächst vereinzelt, dann regelmäßiger. Nicht alle wollten nur erinnern. Einige wollten bewahren.
So wie Sissel Holt, deren Mutter in Hamningberg aufwuchs. Sie restaurierte das alte Elternhaus und kaufte später eine weitere „sjå“ – eine Trocknungs- und Lagerhütte – um sie vor dem Verfall zu retten. Heute betreibt sie dort das kleine Sommercafé Pakhuskaia und erzählt Besuchern von den Jahren des Schweigens und der Rückkehr.

Ein Wendepunkt kam 2008, als Hamningberg Teil eines Pilotprojekts des Riksantikvaren wurde. Ziel war nicht, ein Freilichtmuseum zu schaffen, sondern der behutsame Erhalt eines lebendigen, authentischen Orts.
Zu Beginn gab es Skepsis. Nicht alle wollten, dass ihre Sommerhäuser unter Denkmalschutz gestellt werden. Es brauchte Gespräche, Vertrauen und vielleicht auch etwas Rentierbraten, Bier und Wein – serviert vom Projektleiter in einem Lavvu am Dorfrand, wo er die meisten Einwohner für seine Pläne gewinnen konnte.

Am Ende wurden rund 40 der 65 Gebäude in das Programm aufgenommen. Viele Häuser sind inzwischen mit viel Hingabe restauriert und heute noch in Familienbesitz. Doch noch immer erzählen sie die alten Geschichten. Von Wind und Arbeit, von Verzicht und Verbundenheit, von Verlust und einer stillen Rückkehr …
„Denkt daran, Kameraden,
Bjørn Nilsen (Norwegen) in einem Gedicht aus dem Jahr 1974
an den Tag, an dem wir die Umzugswagen zurückfahren,
nach Hamningberg, Breivik und Bjørnsund,
all die verwehten Heimatorte,
von denen wir gezwungen waren fortzugehen.“
Entdeckungen und Highlights rund um Hamningberg

Auch wenn Hamningberg selbst klein ist, gibt es in der unmittelbaren Umgebung zahlreiche landschaftliche, historische und geologische Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Dazu versprechen einige Naturreservate und nahezu unberührte Buchten unvergessliche Entdeckungen an der Küstenlinie der Barentsee, die wir auf unserer Reise ausgiebig erkundet haben:
Wanderung zur Höhle “Ovn” in der Skjåvika

Nur eine knappe Gehstunde nordwestlich des Dorfes liegt die Skjåvika, eine wild-ursprüngliche Bucht, in die die Wellen des Barentsmeers regelmäßig Treibgut, Walknochen und Planken spülen.
Inmitten dieser archaischen Szenerie liegt verborgen in einer Felswand die Höhle “Ovn”. Sie wurde einst von den Küstenbewohnern zum Trocknen von Fischen oder als Windschutz und Versteck genutzt.

Man kann die leichte Wanderung entweder direkt in Hamningberg oder am neu gestalteten Rast- und Wohnmobil-Parkplatz oberhalb des Dorfes beginnen. Alternativ gibt es auch einige wenige Parkplätze am Ende der Straße, östlich der Bucht Skjåvika.
Von hier führt der anfangs markierte Weg immer zwischen den Klippen und dem Meer entlang. Dabei sind einige Steinfelder zu überqueren, wo es immer etwas zu entdecken gibt. Zwischen all dem Treibgut finden sich alte Planken gesunkener Fischerboote, Reste von Walskeletten und jede Menge bizarr geformtes Treibholz.




Eine traumhafte und für alle Generationen geeignete Küstenwanderung sowie ein herrlicher Ausgleich nach einer (viel zu) langen Autofahrt.
Ausgangspunkt: Parkplatz an der Bucht Skjåvika | Strecke hin und zurück: etwa 2,5 Kilometer | Gehzeit komplett: 2 Stunden | Höhenmeter: 40 Meter | Schwierigkeit der Wanderung: Leicht
- Detaillierte Beschreibung der Wanderung auf der norwegischen Webseite ut.no inklusive GPX Daten
- Festes Schuhwerk, Trittsicherheit und ein Gespür für Wegspuren sind hilfreich – der Pfad ist nicht durchgehend markiert, aber gut nachvollziehbar.
Auf den Spuren der Geschichte: Das Bunkersystem über Hamningberg
Wer den Blick vom Dorf hinauf zur Spitze des Hardbaken richtet, ahnt kaum, dass sich dort die Überreste eines deutschen Küstenforts aus dem Zweiten Weltkrieg verbergen. Zwischen Strauchwerk und Fels liegen gut getarnt die alten Stellungen der Heeres-Küstenbatterie HKB 3/448 – ein einst streng bewachtes Bollwerk mit Sicht auf die Barentssee.

Noch heute kann man auf dem kargen Hochplateau Spuren davon entdecken: Mauerreste, Gänge, alte Lagerplätze und ein überraschend gut erhaltenes Bunkersystem, das sich in den Felsen führt. Wer sich vorsichtig hineinwagt, steht plötzlich in feuchten Kammern aus Beton, sieht rostige Haken in den Wänden, spürt die beklemmende Stille eines Ortes, der für andere Zeiten gebaut wurde.
Es ist ein seltsames Gefühl, dort oben zu stehen: Das verlassene Fischerdorf liegt friedlich unter einem, das Meer rauscht unbeirrt und unter den Füßen bröckelt Geschichte.
Ausgangspunkt: Dorfzentrum Hamningberg | Strecke hin und zurück: etwa 2,6 Kilometer | Gehzeit komplett: 2 Stunden | Höhenmeter: 79 Meter | Schwierigkeit der Wanderung: Leicht
- Detaillierte Beschreibung der Wanderung auf der norwegischen Webseite ut.no inklusive GPX Daten
Beobachtungshütte am Ortsrand
Nur wenige Gehminuten vom Ortskern entfernt steht eine neu errichtete Beobachtungshütte mit Blick über das offene Meer. Windgeschützt, schlicht und doch ein perfekter Ort, um die Küstenlandschaft mit all ihren Bewegungen, Phänomenen und Geräuschen auf sich wirken zu lassen.

Im Frühjahr und Spätsommer ziehen hier regelmäßig Zugvögel vorbei – darunter Prachttaucher, Eisenten, Gryllteisten und Möwenarten. Mit etwas Glück lassen sich sogar Wale beobachten, die dicht an der Küste entlangziehen, erkennbar an den Vogelschwärmen, die sich über Fischansammlungen sammeln.
Zudem ist die Hütte im Herbst und Winter ein perfekter Spot, um Nordlichter zu fotografieren oder einfach zu beobachten.
Mahnmal am Meer: Die Rettungsaktion von 1894
Wer Hamningberg erreicht, passiert am Ortseingang ein schlichtes Denkmal. Es erinnert an eine der dramatischsten Rettungsaktionen der norwegischen Seefahrtsgeschichte und an eine Nacht, in der das Meer fast alles nahm.

Im Mai 1894 tobte ein schwerer Nordoststurm über der Barentssee. In der ungeschützten Bucht von Hamningberg lagen mehr als 100 Fischerboote, darunter 17 große Aufkaufschiffe. Viele Seeleute waren noch an Bord. Die Lage war verzweifelt.
Aus Vardø machte sich nur ein einziges Schiff auf den Weg – die gerade neu in Dienst gestellte RS1 “Colin Archer”, das erste Rettungsschiff Norwegens. Trotz Schneesturm und meterhoher Brecher gelang es der Besatzung in zwei gefährlichen Einsätzen, 36 Menschen zu retten. 85 Boote wurden zerstört, aber der mutige Einsatz der Seenotretter der „Colin Archer“ prägte das Vertrauen in das neue Redningsselskapet für Jahrzehnte.
Abgelegene Traumbuchten: Indre & Ytre Syltevika

Kurz vor Hamningberg zweigt in Sandfjord eine sehr schmale, von Schlaglöchern gezeichnete Zufahrtsstraße zum Syltevikvatnet ab. An deren Ende erreicht man den Startpunkt einer extrem eindrucksvollen Rundwanderung über rund 13 Kilometer durch das Naturreservat Ytre Syltevika.

Wir sind diese Route im Uhrzeigersinn gegangen und zunächst dem Pfad über Syltevikmoan zum Südufer des Syltevikvatnet gefolgt.
Nach einer Passage am Seeufer entlang öffnet sich nach einem kurzen Anstieg die Sicht auf die wilde Küste. Wir können hier bereits die alte “Gren-Hütte” ausmachen. Eine schlichte offene Hütte, die Wanderern für kurze Aufenthalte offen steht.




Der Weg folgt nach einem letzten leichten Anstieg über die markante Klippe “Monken” fortan der Küstenlinie nach Westen – über Geröllfelder und vorbei an imposanten Schieferformationen sowie den Überresten uralter Strandwälle. Mitten in dieser archaischen Landschaft liegt Indre Syltevik, eine kleine Bucht mit großer Geschichte. Hier steht die östlichste Hütte des DNT – früher das Zuhause des Fischerpaares Alfhild und Andreas Bruvold.

Sie lebten hier in den 1930er-Jahren und versteckten im Zweiten Weltkrieg sowjetische Partisanen, die mit einem U-Boot angelandet waren. Als die Deutschen das Versteck entdeckten, mussten sie fliehen. Heute erinnert ein kleines Denkmal an diesen Tragödie.
Ausgangspunkt: Parkplatz unweit von Sandefjord am Ende einer sehr schlechten Zufahrt | Strecke hin und zurück: etwa 13,2 Kilometer | Gehzeit komplett: 4 bis 5 Stunden | Höhenmeter: 188 Meter | Schwierigkeit der Wanderung: Herausfordernd aufgrund der Weglänge
- Detaillierte Beschreibung der Wanderung auf der norwegischen Webseite ut.no inklusive GPX Daten
Sandfjordneset – Dünen, seltene Pflanzen und ein Karibikstrand
Auf der Fahrt nach oder von Hamningberg passiert man zwangsläufig das Naturreservat in der Bucht Sandfjordneset. Dort, am Mündungsgebiet des Sandfjordelva, öffnet sich eine überraschend weite Dünenlandschaft, die den herrlichen feinsandigen Strand umschließt. Ein Ort, der uns eher an Dänemark erinnert – wären da nicht die Felsen der Umgebung und die Wassertemperatur der Barentsee …

Das 1983 eingerichtete Naturreservat schützt hier eines der am besten entwickelten Dünensysteme in ganz Finnmark. Zwischen Fluss, Strand und offener See ragen bis zu 15 Meter hohe Parabeldünen auf. In den unteren Bereichen wachsen salzliebende Pflanzen wie die arktische Meersenfart, weiter oben dominieren Strandhafer und seltene Pflanzenarten.
Ob als kurzer Abstecher, als Fotospot bei Mitternachtssonne oder Nordlicht sowie als stiller Platz für ein Picknick – Sandfjordneset ist ein perfekter Ort zum Durchatmen. Der kleine Parkplatz oberhalb des Strandes ist dabei ein guter Ausgangspunkt für eure Erkundungen:

Persfjorden – Weite, Wellen und Widerstand
Dort, wo die Straße sich langsam aus den Bergen windet und die offene Küste erreicht, liegt der Persfjorden – eine von Klippen gerahmte Bucht mit weitem Blick über die Barentssee. Der fjordartige Einschnitt ist Teil des geschützten Persfjorden–Syltefjorden Naturreservats, das für seine außergewöhnliche Geologie, seine arktische Vegetation und seine historische Bedeutung unter Schutz gestellt wurde.

Schroffe Felswände, abgestufte Schieferschichten und karge Hochflächen prägen die Szenerie. In den grünen Talböden dazwischen wachsen seltene Pflanzenarten – ein Refugium für Biologen wie für Fotografen.
Doch der Persfjorden ist mehr als nur ein geologisches Postkartenmotiv: Im Zweiten Weltkrieg versteckten sich hier sowjetische Partisanen in Höhlen und Felsspalten. Von hier aus beobachteten sie die deutschen Konvois, die Material nach Kirkenes transportierten. Noch heute lassen sich Spuren dieser Vergangenheit finden, wenn man durch die Landschaft streift.

Der geschützte Bereich zwischen Persfjorden und Syltefjorden trägt auch zur Bewahrung samischer Kultur bei, denn die Hochebenen rund um den Fjord dienen noch heute als Weidegebiete für halbwilde Rentiere. Wer im Sommer unterwegs ist, kann sie mit etwas Glück am Strand beobachten. Ebenso wie die mächtigen Seeadler, die hier regelmäßig auf ihren Beutezügen kreisen.

Fazit: Hamningberg – ein Ort, den man nicht vergisst
Hamningberg ist nicht spektakulär im klassischen Sinne. Es gibt hier keinen Komfort, kein Besucherzentrum, keinen Servicepoint oder spektakuläre Unterkünfte. Es ist vielmehr die Stille zwischen den Häusern, die Weite des Meeres, die Fahrt durch eine außergewöhnliche Landschaft, die sich einbrennen. Und es ist die Geschichte, die man nicht erzählt bekommt, sondern spürt.

Hamningberg erzählt vom Aushalten und Aufgeben, vom harten Leben mit den Naturgewalten im Norden Norwegens, vom Kampf um Würde und vom leisen Glück der Rückkehr. Wir wissen nicht, ob Hamningberg eine Zukunft hat oder einfach weiter bestehen darf, so wie es ist. Aber wir wissen: Es gibt nur wenige Orte, die so stark und still zugleich wirken.
Wer hierher kommt, verlässt das heutige Norwegen und findet ein Stück lebendige Geschichte. God tur!

Literaturtipps für deine Reise nach Norwegen
Equipment für die perfekte Wanderung
- Die passende Wanderausrüstung gibt es bei: GLOBETROTTER | BERGZEIT
Quellen:
- Norwegische Webseite Byggogbevar
- Norwegische Webseite Kystverkmusea Norwegen
- Buch: “Innhentet og dømt av framskrittet: fiskeværet Hamningberg” von Ingrid Sætherø
- Norwegische Webseite Lokalhistoriewiki
















Kommentieren